Jürgen Plieninger

Geschenke und Nachlässe rationell bearbeiten

erschienen in: Tübinger Bibliotheksinformationen (TBI), 22.2000, H. 2, S. 19f.


 

Es ist schon eine Crux: Je mehr Bestand man hat und je enger der Platz wird, desto mehr Arbeit muss man sich machen! Nicht nur, dass die Bücher beim Einarbeiten (schon der Name sagt es!) Arbeit verursachen, sie machen es doppelt und dreifach bei der Aussonderung. Und wenn dann die Aussonderung in engerem Sinne vorüber ist und man die Bestände an andere Bibliotheken abgeben möchte, bestehen jene - verständlicherweise, denn wer kauft schon gerne die Katze im Sack? - auf Titellisten der angebotenen Bücher. Das bedeutet: Abtippen von Autor, Titel, Auflage, Verlagsort, ggf. Verlag, Erscheinungsjahr und ggf. Erhaltungszustand. Das ist so gut wie eine Titelaufnahme und noch nicht alles, da dann verschiedene Bibliotheken verschiedene Titel ordern und diese wiederum herausgesucht, zusammengestellt, eingepackt und expediert werden müssen. Jede Menge Arbeit, bei der der "Gewinn", die transferierten Titel dann an einem neuen Standort Nutzer/innen anbieten zu können, für die öffentliche Hand doch in einem recht fraglichen Verhältnis zum Aufwand steht. Nicht zuletzt führen Abschreibeaktionen kleinere Bibliotheken schnell an den Rand des Zumutbaren...

Nun, waren die abgeschriebenen Bücher inventarisiert, dann führt an diesem Aufwand haushaltsrechtlich kein Weg vorbei! Und man ist hier noch nicht einmal frei, alle Bibliotheken, die in Frage kämen, einfach so zu bedienen, nein, man muss zuerst die UB und dann die Bibliotheken im Lande fragen, dann den Antiquar holen und ihm den Bestand anbieten (was dazu führt, dass er sich die "Rosinen" herauspickt und einen dann die weniger attraktiven Bände versorgen läßt), da die Bücher ja aus Landesmitteln beschafft wurden und so entweder einer anderen Bibliothek im Lande zugutekommen soll oder eben die eigene Bibliothek noch ein wenig Geld dafür bekommen soll. In meinen Augen ist dies ein fragwürdiges Kapitel bundesstaatlicher Kulturhoheit, dass sich die öffentliche Hand aus purer kameralistischer Borniertheit selbst enteignet! Erst dann darf man den Rest bundesweit oder jenseits der Grenzen anbieten. Im Allgemeinen führt dieses gestufte Procedere dazu, dass man doch Titellisten erstellen muß: Meist schon für die Entscheidung über die Aussonderung, die im Haus getroffen wird, dann nochmals für die UB und andere Bibliotheken.

Anders kann man bei jenen Büchern vorgehen, die noch gar nicht eingearbeitet sind: Geschenke oder Nachlässe. Es gibt Bibliotheken, bei denen diese beiden keinen geringen Teil der Erwerbungen ausmachen, wenn eine "Geschenkkultur" besteht, die sich dann bis hin zur Überlassung von Nachlässen erstreckt. Wenn man größere Mengen im Geschenkregal oder als Nachlaß hat, bleibt oft nach dem Abgleichen mit dem Katalog ein erklecklicher Anteil "übrig": Dubletten, veraltete Titel oder Titel, die gar nicht ins Bestandsprofil passen. Da diese Bände noch nicht inventarisiert sind, kann man mit ihnen frei verfahren, immer vorausgesetzt, man hat mit den Geschenk- und Nachlaßgebern zuvor vereinbart, dass man nicht benötigte Bücher weitergeben darf. Aber die Zeiten, in denen Nachlässe komplett eingearbeitet wurden, sind hoffentlich schon lange vorbei!

Hier kann man also versuchen, für den abzugebenden Bestand ein "Profil" zu erstellen und versuchen, eine Bibliothek zu finden, in deren Erwerbungsprofil wiederum dieser Bestand passen und die an einem Bezug eines nennenswerten Bestandes interessiert sein könnte. Wie macht man solche Bibliotheken ausfindig?

  • Manchmal bestehen schon Tauschbeziehungen mit entsprechenden Bibliotheken, die man dann fragen kann,
  • das Beziehungsgeflecht mit ehemaligen Mitarbeitern, die an andere Institute gewechselt haben, läßt sich in dieser Hinsicht auch gut nutzen,
  • manchmal lassen sich auch über Fachreferenten bzw. die Erwerbungsleiter von Unibibliotheken Beziehungen anbahnen,
  • Mitgliedschaften in kleineren bibliothekarischen Fachverbänden, wie z.B. die AGMB, lassen sich auch hier gut nutzen, um Kontakte anzubahnen,
  • man kann auch die Mailingliste DUBLETTEN-L dazu nutzen (wenn sie denn das EDBI überlebt...) oder auch fachliche Mailinglisten und
  • man kann auch in der kleinen Sammlung des Autors dieses Artikels, die eben aus der Dubletten-Mailingliste entstammt, schauen, ob hier nicht eine Bibliothek aufgeführt ist, die in Frage käme (http://homepages.uni-tuebingen.de/juergen.plieninger/bibdubl.htm, hier unter "2. Anschaffungsprofile").

Wenn Sie dann Kontakt zur betreffenden Kollegin aufgenommen haben und Ihre Beschreibung des Bestandes noch nicht aussagekräftig genug war, können Sie ja nach deren Wünschen immer noch konkretere Hinweise geben (Stichprobenmethode: Man holt eine Kiste, greift wahllos hinein, liest Autoren und Titel vor, beschreibt den Erhaltungszustand der Bücher). Ebenfalls eine wichtige Vorbedingung für eine positive Entscheidung der Nehmer ist die Entpflichtung, den gesamten Bestand einarbeiten zu müssen, da dort bei der Einarbeitung natürlich auch Dubletten festgestellt werden. So können sie selbst wieder auswählen und weitergeben.

Ich selbst habe in den letzten Jahren nennenswerte "Reste" von drei größeren Nachlässen weitergegeben und so größeren Aufwand vermieden. Leider war ein Institut nicht in dem Maße zufrieden, dass sie eine zweite Marge, an der sie zunächst Interesse zeigten, übernehmen wollten. Dies tat mir besonders Leid, da es sich um ein ostdeutsches Institut handelte und sich die zweite Marge weit eher in ihr Bestandsprofil eingefügt hätte als die erste. Immerhin nahm ein anderes Institut zweimal große Mengen ab (eine Marge umfaßte 15 volle Umzugskisten) und war immerhin so zufrieden, dass sie an weiteren Übernahmen Interesse bekundeten.

 


© Jürgen Plieninger, 18.05.2001