Über Homepages
Ein Essay
Das World Wide Web (WWW) als besondere Nutzungsform des Internet
bietet besondere Formen der Selbstdarstellung und der Bereitstellung und
Vermittlung von Informationen durch Individuen.
Bisher waren unspezifischen Formen der Selbstdarstellung enge Schranken
gesetzt. Mit dem neuen Medium WWW entstehen neue Möglichkeiten der
Selbstdarstellung und bzw. des Angebots von Texten oder Querverweisen (sog.
Links oder Hyperlinks), z.T. mit Bewertungen, welche eine neue Art der
Kommunikation, des Informationsangebots bzw. der Informationsvermittlung
darstellen. Konnte man seither Visitenkarten verteilen, sich in einer Institution in
eine Position hochhangeln, die Selbstdarstellung erlaubte bzw. einen Verleger
bemühen, so genügen jetzt wenige Kenntnisse in der HTML-Gestaltung
und ein Internet-Zugang, daß man seine Homepage (HP) konzipieren und
"ins Netz stellen" kann, d.h. all jenen anbieten kann, die eventuell
dafür ein Interesse haben. Das kann enorm interessant und von Wert
für andere sein, kann aber auch eher peinliche Formen der
Selbstüberheblichkeit hervorbringen. War dies aber nicht schon für jede
neue Technik der Fall, daß man sie im positiven wie im negativen anwenden,
daß sie sich im positiven wie im negativen auswirken konnte?
Ich möchte hier nicht weit ausholen, sondern nur eine kleine Typologie
der HPs den Nutzern des HomePageVerzeichnisses deutschsprachiger
Bibliothekarinnen und Bibliothekare bieten, damit einige Funktionen von HPs klarer
werden:
- Eine HP kann wie eine Visitenkarte sein.
Manche HPs enthalten ein Bild und die wichtigsten Daten zu Name, Qualifikation,
Tätigkeitsbereich sowie Adresse, Telefon, E-mail etc. Eine prima Sache
für Kolleginnen und auch Benutzer: Man hat die relevanten Daten, kann auf
jemand zugehen, ist informiert und kann sein Anliegen gezielt vorbringen. Für
Anfangskontakte ist dies eine hervorragende Form, sie kann zudem die Hauptseite
abgeben, wenn die HP um andere Inhalte und Funktionen erweitert wird, denn
viele wollen sich in der Tat nur kurz orientieren und nicht zehntausend Angaben zu
Tätigkeiten in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über
Hobbies und Familie etc. konsumieren. Dies führt zur nächsten Form:
- Eine HP kann eine ausführliche Selbstdarstellung sein.
Kann man den ersten Typ mit einer Visitenkarte vergleichen, so könnte man
diesen mit einem Bewerbungsschreiben gleichsetzen. Und in der Tat, in manchen
Bereichen hat eine HP auch diese Funktion. Informatikabsolventen sollen dem Ver-
nehmen nach auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, wenn sie nicht eine
eigene Homepage als Dokumentation ihres Könnens präsentieren
können. Aber auch im nicht-pofessionellen Bereich gibt es extensive
Selbstdarstellungen, und diese sind es vor alle, die manche zum Fehlschluß
führen, hier werde die Selbststilisierung zum Gipfel getrieben. Aber solchen
Auswüchsen zum Trotz: Die HP soll das Internet bewohnbarer machen. Wenn ich eine E-Mail von einer Kollegin bekomme, die unten eine URL einer HP
aufweist und ich somit die Chance bekomme, einige biographische Wegmarken
und Hobbies zur Kenntnis zu nehmen, dann antworte ich doch anders, als ich es
ohne diese Lektüre getan hätte. Es ist klar, daß ich diese Person
nicht im eigentlichen Sinn kennengelernt habe, dennoch sind diese Anhaltspunkte
mehr als gar nichts.
- Eine HP kann wie ein Aufsatz/eine Aufsatzsammlung sein.
Texte wie dieser. Texte, die man gut gefunden hat (und die man verwenden darf,
man beachte das Copyright!). Diese Texte können ohne viel Brimborium,
ohne über eine Redaktion und einen Verlag laufen zu müssen, im
WWW veröffentlicht werden. Können bei Bedarf aktualisiert und
verbessert werden. Das alles kann ein Nachteil sein, ist aber eher von Vorteil sein,
wenn bekannt ist, daß sich thematisches in dieser und jener Richtung in der
und jener HP zu lesen ist. Vor allem HPs in den USA präsentieren viele
fachliche Informationen (Texte, Datenbanken, Links), die sonst so und auf diese
Weise nie von Institutionen angeboten, geschweige denn gepflegt worden
wären.
- Eine HP kann wie eine Bibliographie sein.
Linksammlungen sind wie Verzeichnisse von Veröffentlichungen (lassen wir
einmal den Aspekt weg, daß die meisten Links wieder auf Verzeichnisse von
Links gerichtet sind...). Man kann also den Nutzern der HP Verweisungen anbieten
auf Stellen im Netz, wo etwas Interessantes ist. Man kann zudem, und das ist
meist weitaus interessanter als die Adresse selbst, die Verweisung, also den Link,
kommentieren, eine Annotation geben, in der man die Quelle, auf die verwiesen
wird, charakterisiert und bewertet. Es gibt zwar schon Verzeichnisse zuhauf,
fürwahr, aber dennoch befindet sich in vielen Verzeichnissen der eine Link,
der sich wirklich lohnt, den man aber ohne die Annotation glattweg
übersehen hätte. Und: Die Lektüre von HPs, in denen Links noch
einmal ganz anders zusammengestellt sind, regt an (dasselbe Phänomen wie
bei Buchläden: Warum geht man noch in den zweiten oder dritten
Buchladen? Weil die Präsentation unterschiedlich ist!).
- Eine HP kann alles zugleich sein.
Gute HPs sind eine Mischung aus allen den oben genannten Typen, sind zudem
graphisch ansprechend aufgebaut und werden immer mal wieder aktualisiert.
Um es kurz zusammenzufassen: HPs sind ein Medium, mittels derer man
Personen besser kennenlernen kann, was wiederum die Kommunikation in einem
eher unpersönlichen Medium wie dem Internet verbessert. Weiter kann sie
dem fachlichen Diskurs bzw. der fachlichen Weiterbildung dienen, indem Texte
und Links angeboten, charakterisiert und kommentiert werden. Insofern bieten HPs
weitaus mehr als "expressive Selbststilisierung", was öfters als
Vermutung für den Grund von HPs genannt wird.
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Copyright © Jürgen Plieninger
Jürgen
Plieninger. Stand: 4. November 1997