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Annotation zu:

Grundzüge der Wirtschaftsgeschichte Deutsch-Südwestafrikas


In dieser aufgrund formaler Vorgaben nur dreißig Seiten umfassenden Arbeit wird die Wirtschaftsgeschichte des heutigen Namibia von 1800 bis 1914, also die Kolonialisierung behandelt. Der Anstoß zu dieser Arbeit kam aus einem Seminar über Imperialismus-Theorie, in dem merkwürdig unklar war, wie der Imperialismus aus der Sicht der Betroffenen gesehen wurde und wie die "eingeborenen" Gesellschaften letztlich in die koloniale bzw. kapitalistische Ökonomie eingebunden wurden. Es sprach viel dafür, daß der eigentliche Hebel der "Modernisierung" der nativen Stämme eben nicht die militärische Macht war, da das verfügbare Militär insbesondere in der Anfangszeit der Kolonialisierung trotz überlegener Bewaffnung viel zu schwach war, gewaltsam einen sozialen Wandel in Gang und durchzusetzen, der letztlich eine Überführung der Stammesgesellschaften in eine Arbeiterklasse bedeutete. Dieser Frage sollte die Arbeit nachgehen.

In der Arbeit komme ich zum Schluß, daß es letztlich die Bedürfnisse nach industriell gefertigten Waren (und nach Alkohol) waren, die die soziale Entwicklung der Stammesgesellschaften in eine Sackgasse führten. Ihre Subsistenzwirtschaft war weder in der Lage, solche Güter herzustellen, noch konnte sie auf Dauer ein Mehrprodukt erwirtschaften, um diese Güter zu erwerben. Folglich endete die Entwicklung in der Disorganisation der traditionellen Stammesgesellschaften und in einer endgültigen Abhängigkeit - gesellschaftlich und individuell - vom westlichen Wirtschaftssystem, was im Falle Namibias hieß: Eingliederung als abhängige Arbeitskräfte in eine Siedlerkolonie. - Der Nachweis, daß wirklich die Veränderung der Bedürfnisstruktur und nicht die militärische Macht die eigentliche Ursache für den sozialen Wandel der tribalen Gesellschaften war, konnte anhand des Beispiels der Ovambo, eines zur Zeit der Kolonialisierung abseits lebenden volkreichen Stammes gezeigt werden, der nie in militärische Auseinandersetzungen mit den Deutschen kam wie die anderen Stämme (insbesondere die Herero und Nama), aber dennoch den gleichen Veränderungen unterlagen wie jene, die militärischen Widerstand geleistet hatten.

Die Arbeit ist nur als Präsenzexemplar in der Fachhochschule zugänglich. Wer sich für diese Problematik interessiert, sollte den Roman "Morenga" von Uwe Timm lesen, der anhand eines Nama-Aufstandes (die Nama wurden früher abschätzig als "Hottentotten" bezeichnet) - wie ich finde, in bewundernswürdiger Weise - unterhaltend dieselbe Problematik schildert.



juergen.plieninger@uni-tuebingen.de - Stand: 22. April 1998